Zilla Leutenegger, Mirjam Staub & Isabel Truniger

Zilla Leutenegger ( 1968 )

Ein Subjekt vor dem Subjekt

Der Katalog, den die Künstiergruppe x-position 1996 zu einer bloss imaginierten Ausstellung von Zilla Leutenegger in der Shedhalle Zürich gestaltete, zeigt nebst einem geklauten Text, in den der Name der Künstlerin eingefügt ist, am Computer erstellte Photographien von Aus-stellungssituationen: An den Wänden hängen aufgeblasene Videostills. Diese sind der ersten Videoarbeit von Zilla Leutenegger entnommem, der Installation PORTRÄTS 1995, die auf vier Monitoren mit je einem Video-band Autoporträts in unterschiedlicher Umgebung nach- und nebenein-anderstellt. Die Sequenzen dauern jeweils einige Minuten und gleichen sich insofern, als Zilla Leutenegger nur immer aus ähnlicher Distanz in die Kamera und bisweilen von ihr weg zur Seite sieht. Der Moment, die neue Kamera auszuprobieren und die Versuche, sich selbst in ein Verhältnis zu ihr zu stellen, fallen zusammen und symbolisieren sich gegenseitig. In dieser Weise konstruiert PORTRÄTS 1995, liesse sich mit Blick auf die folgenden Arbeiten, in denen Zilla Leutenegger stets wieder selber auftritt, behaupten, eine Art Urszene der Künstlerin. Der Katalog nun erzählt diesen Anfang zugleich als ein zweites Mal:

als Eintritt in die Institutionen des Kunstbetriebs, und diese Insze-nierung erscheint als Phantasie.

In ihren neuesten Arbeiten realisiert Zilla Leutenegger ver-schiedene Szenarien, die sich als Kinderwünsche lesen lassen. Die Auftritte als Balletttänzerin in ZILLA NINA BALLERINA 97, als Popstar in THE MOLES 97 oder als Opemsängerin führen dabei aber in ihrer steten Verfehlung auch das Schmerzliche auf, das die Versuche, derart vorgezeichnete Plätze zu besetzen, immer schon einüben. Als ambiva-lente Tagträumereien treten sie in Beziehung zu den ersten Porträts <auch jene realisieren einen Wunsch, wenn sie vorgeben, die Abgebil-dete zur Künstlerin zu machen), wobei die phantasierten Bühnenauf-tritte als eingebunden in die Struktur der Porträtaufnamen erscheinen. Letztere aber ,,urspringen” darüber hinaus die Künstlerin tatsächlich (wogegen sie mit den späteren Videos nicht wirklich zur Sängerin wird>, und der erwähnte Katalog dramatisiert die Realität, die nach einer Erklärung verlangt, noch einmal als Ursprung einer Geschichte. In ihrer Kunst begegnet die Ktlnstlerin sich immer selbst: Dieser erste Satz im Shedhalle-Katalog von Zilla Leutenegger lässt sich als jener theoretische Einsatz lesen, der die Fantasie von der Künstlerin stabilisiert. Als solcher wird er, ins Kunstwerk selbst hineinversetzt, in verschiedenen Arbeiten variiert.

In SPIEGLEIN, SPIEGLEIN 1997 tanzt die Künstlerin in ihrem Zim-mer vor einem Spiegelschrank, wobei das Spiegelbild sowohl zur Kon-trolle/Korrektur der Tanzbewegungen behilflich ist, als auch den Part-ner abgibt, mit/für den getanzt wird. In dieser Weise liesse sich argumentieren, ist der andere aus dem Club immer schon präsent. Derart wird die Unterscheidung zwischen Privatem und Öffentlichem problema-tisch, und dies wird im Moment der Aufnahme noch akzentuiert: Wenn das Video dieser Heimubung im Kunstkontext erscheint, geht es weniger da-rum, ein wahres Gesicht oder ein Geheimnis der Künstlerin offenzule-gen, sondern die Szene ist so gut geglückt (wie manches beim Üben am besten gerät), dass sie gezeigt werden kann.

In THE WAY YOU MAKE ME FEEL 1997 tritt an die Stelle des Spie-gels ein Computerprogramm, und der Fokus verschiebt sich, wie der Ti-tel anzeigt, vom Medium auf die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt. Als Zilla Leutenegger, diesmal im Atelier, eine Weile getanzt hat, tritt eine zweite, dann eine dritte identische Figur auf, und beide bewegen sich mit zur Musik, bis die zweite den Kassettenrecorder, der auf dem Tisch steht, ausschaltet. Dass, wer tanzt, dies gleichzeitig für sich und für den andern tut, diesen Zwiespalt überbrückt hier das

Produktionsverfahren: Zilla Leutenegger macht aus derselben Kamerape-sition drei Aufnahmen nacheinander und fügt sie am Bildschirm zusam-men: Die Momente von Interaktion zwischen den Tanzenden, die sich nun ergeben, sind rein kontingent.

Die Perspektive, die diese beiden Arbeiten im Verhältnis zueinander andeuten, liesse sich anfügen, wird in AEROBIC WITH ZILLA ZACK 1997 wieder ins Bild gesetzt. Auf dem Videoband führt die Künstlerin wäh-rend 50 Minuten Aerobiclektionen vor. Neben/hinter ihr wird das Bild, das die Kamera aufnimmt, ,,gleichzeitig” an die Wand projiziert, so dass es in sich wiederum erscheint und sich weiter fortsetzt. In einer Installation/Performance absolvierte Zilla Leutenegger das ganze Pro-gramm als öffentliche Lektion noch einmal, nun synchron vorgetragen zum angefertigten Videoband, das sie dazu abspielte. Die Teilnehmer-Innen wiederum wurden, mitsamt Zilla Leutenegger, von einer installierten Videokamera aufgenommen und erschienen neben dem Homevideo als zweite Projektion an der Wand. In dieser maschinellen Verschaltung, die den eigentlichen Kunstraum installiert, ist die Künstlerin immer schon da.

Tan Wälchli

Winter 1997

Mirjam Staub ( 1969 )

Today everything exists to end in a photograph beklagt sich Susan Sontag in einem Essay über die Auswirkungen der Photographie auf die Realität. Mirjam Staub ist den Dingen auf der Spur, die durch das Einkaufsnetz der Kamera fallen. Während eines Aufenthalts in Holland verordnet sie sich ein rigides Programm der Selbstüberwachung. Alle Gegenstände des täglichen Gebrauchs, für die sie Geld ausgibt, werden acht Wochen lang photographisch dokumentiert. 303 Fotos von Tomaten, Tampax, Twix, Brot und Käse erzählen von einem asketischen Künstler-innenleben. Doch das visuelle Tagebuch weist Lücken und Manipulationen auf. Schon nach einiger Zeit versucht die Künstlerin, die Kamera zu überlisten. Sie vergisst den Apparat, weiss an einigen Tagen nicht mehr, was sie schon alles fotografiert hat, klaut Toilettenpapier, um es nicht fotografieren zu müssen, lässt sich von Freunden zum Essen einladen. ,,Ich mag nicht mehr kochen, das heisst nicht mehr einkaufen, das heisst nicht mehr fotografieren,” schreibt sie ihrem Freund. Die Künstlerin ist an den strengen protokollarischen Vorgaben gescheitert. Der Versuch einer empirischen Beweisführung, dass es keine empirisch nachweisbare Realität gibt, ist jedoch gelungen.

That’s the way you photographers work, schrieb ihr einmal ein ehemaliger Geliebter. ,,You get your model as your lover and then they get that special look in their eyes. (what look?).” Blicke lügen nicht -oder doch? Was sagen ein begehrlicher Augenaufschlag, ein paar ver-schränkte Arme aus über die Wirklichkeit von menschlichen Beziehungen? Ich habe ihn noch nie so gesehen, bis zu dem Moment, wo ich ihn photographiert habe. Wenn ich das Bild jetzt anschaue, sehe ich, dass es mit uns nicht gut gehen konnte.” lautet der handgeschriebene Kommentar unter dem Foto eines jungen Mannes. Doch das Gefühl von bekennerhafter Authentizität erweist sich als trügerisch, der traurige Gesichtsausdruck des Porträtierten reicht nicht für eine charakteranalyse. Aus dem ,,So ist es gewesen” von Roland Barthes ist ein ,,Es hätte auch anders gewesen sein können” geworden.

Als es passiert ist, hatte ich dummerveise die Kamera nicht dabei, lautet der Untertitel eines unspektakulären Fotos, auf dem ein Treppenaufgang zu sehen ist, der zu zwei verschlossenen Türen führt. Aus dem Spannungsfeld zwischen Foto und Text ergibt sich das Eigentliche, das immer woanders ist. Mirjam Staub zeigt nicht, was die Photographie enthüllen kann, sondern was sie verbirgt, ganz nach dem Prinzip eines Striptease, der so lange fesselnd ist, bis alle Masken gefallen sind. Eine nackte schöne Frau steht vor dem Fotografen in und bläst einen grossen weissen Ballon auf, der ihre Brüste verdeckt. Mirjam Staub erwischt den ,,richtigen Augenblick” und drückt auf den Auslöser – bevor der Ballon platzt.

Beate Engel

Isabel Truniger ( 1970 ) über ihre Arbeiten

(Fragen: Michelle Nicol )

Gilles Lipovetsky sprach vam Narziss als dem universellen Sinnbild unserer Gesellschaft. Deine Modelle sind nicht professionell – und posieren doch mit einer gewissen Lust. Holst du den Narziss raus?

Klar posieren sie. Sie sind nicht in ihrer Stube, sie sind im Studio und spielen. Ich muss ihnen allerdings erklären, dass ich mit ihrer Hilfe meine Bildideen darstellen will und sie nicht als reale Per-sönlichkeiten zeige. Die Mischung zwischen einer Pose und einer sim-plen Selbstdarstellung ist spannend. Es ist aber oft recht ungewohnt für meine Modelle, sich so zu präsentieren, wie ich will.

Die Photographie ist der exemplarische Ort des Unauthentischen, des Unnatürlichen und des Scheins. Deine Bilder sind offensichtlich inszeniert. Was schätzt du an dieser Künstlichkeit, am Moment des Eingefrorenen?

Ich liebe klare und direkte Bilder. Am liebsten stelle ich jemanden vor einen weissen Hintergrund. Mir graut vor Interieurs. Wenn meine Modelle spezielle Kleidung tragen, dann werden die Fotos oft als Modephotographie gelesen – und darum geht es mir nicht. Grundsätzlich mag ich Nacktheit, der Mensch wird ,deutlicher’ durch das Weglassen, aber das hängt vom Thema ab. Ich zeige gerne Stofflichkeit, die Struk-tur der Haut oder der Haare. Inszenierung bedeutet aber auch, eine Bildsprache entwickeln.

Die Ästhetik deiner Arbeit ,Sexus’ generiert sich in einer glatten Oberfläche. Wie wichtig ist die ,schöne’ Präsentation?

Technische Perfektion interessiert mich eigentlich nicht. Ich arbeite jedoch gerne mit dem Licht, was im Studio besser möglich ist. Das qualitativ gute Bild kann bei gewissen Themen einen Widerspruch auslösen. Was meine Modelle anbelangt, wollte ich für ,Sexus’ weder hässliche noch wunderschöne Leute zeigen. Pickel oder dicke Beine empfinde ich als normal. Ich wollte Personen mit ihren mehr oder weniger perfekten Körpern darstellen. Ich finde meine Model-le schön, weil ich sie kenne.

Deine Bilder sind weder Dokumentationen, noch sind es Fiktionen. Bist du eine Manipulatorin?

Manchmal, es ist ein Wechselspiel. Einerseits sind die Modelle für mich eine Art Schauspieler. Anderseits suche ich solche aus, die etwas von sich einbringen. Zum Angewöhnen gebe ich Anweisungen und sage stellt euch so hin” oder ,,schaut in die Kamera”. Meine Darsteller dürfen die Bilder begutachten, bevor sie veröffentlicht werden. Manchmal habe ich seltsame Ideen und meine Darsteller verstehen nicht, worum es geht. Es war aber noch nie der Fall, dass ein Modell etwas nicht machen wollte.

Wir sind eine Gesellschaft des Spektakels. Was passiert auf dienen Bildern?

Die Leute zeigen etwas von sich, das ist alles. Du schaust das Bild an und es sagt dir Dinge, die du kennst. Im besten Fall erzählt ein einfaches Bild eine Geschichte. Es geht mir nicht um das Spektakuläre, sondern um eine Stimmung.

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