Pascale Birchler / Saskia Edens / Simon Senn

Aus der lebendigen Schweizer Kunstszene hat die Galerie Nicola von Senger drei junge, viel versprechende Talente ausgewählt, deren Arbeiten vom 09.01.-27.2.2010 in den Galerieräumlichkeiten präsentiert werden. Mit der Videoinstallation Simon Senns, dem performativen Charakter der Kunst Saskia Edens und den eher in den klassischen Disziplinen Zeichnung, Malerei und Plastik angesiedelten Arbeiten Pascale Birchlers wird ein Querschnitt aus der Vielfalt des zeitgenössischen Kunstschaffens angestrebt. Kritisch und mit spielerischer Leichtigkeit gelingt es den jungen Künstlerinnen und dem Künstler, mit ihrer Arbeit Fragen des individuellen und gesellschaftlichen Lebens und Zusammenlebens aufzuwerfen sowie die Ambivalenzen menschlichen Daseins auszuloten.

Pascale Birchler  – * 1982 in Zug (CH), lebt und arbeitet in Zürich

Pascale Birchlers Werk umfasst Zeichnungen, Malerei und Skulpturen. Ihre Arbeiten oszillieren zwischen Traum und Wirklichkeit, poetisch, romantisch, und nicht selten kafkaesk konnotiert. Ausgehend von wunderbar detaillierten, kleinformatigen Illustrationen ihrer Gedankenwelt, im Skizzenbuch gesammelt, schafft Pascale Birchler lebensgrosse Skulpturen. Die Übersetzung ihrer Arbeiten in völlig neue Dimensionen gelingt ihr mühelos: Die charakteristischen Elemente der Zeichnungen – die Detailgenauigkeit der Umsetzung, die Zerbrechlichkeit der Erscheinung und die Ambivalenz der Gefühle, die sie auszulösen vermögen – bleiben erhalten und werden gleichzeitig verstärkt durch die Grösse der Skulpturen.

Auch das zentrale Werk der Ausstellung Why we do not understand the trembling whisper of my horse lost in reverie (2009), besticht durch ebendiese Merkmale. Mit dem gebeugten Kopf wird das sonst so Heroische, Stolze und Extrovertierte des Pferdes gebrochen und in Frage gestellt. Die Haltung des Pferdes, das Verharren im Moment, das Innehalten und in sich Hineinhorchen symbolisieren eine Forschungsreise ins Innerste der eigenen Identität. Eine Reise, die unweigerlich mit Ängsten, Unsicherheit und Gefühlen der Zerbrechlichkeit verbunden ist. Die Decken, mit denen das Pferd eingehüllt, und die Gurten, mit denen es zusammengezurrt ist, entsprechen dem Bedürfnis nach Wärme, nach Halt und Schutz. Ein Schutzmantel, der ebenso notwendig wie hinderlich sein kann. Hinderlich, da er uns möglicherweise wertvolle Einblicke verwehrt. Notwendig, da er uns erdet und in der Realität verankert, Sozialisation verkörpernd. Vielleicht liegt aber der Schlüssel zu Stärke und Unabhängigkeit, zum genuin Heroischen des Pferdes, gerade im Entblössen, im regelmässigen Überwinden und Reflektieren der scheinbar vor Verletzlichkeit und Kälte schützenden äusseren Hülle.

Mit „Why we do not understand the trembling whisper of my horse lost in reverie (2009) und den zwei weiteren Werken Watchman (2009) und You shouldn’t have touched the dark(2009) liegt der Fokus der Ausstellung auf dem skulpturalen Schaffen Birchlers.

Saskia Edens  – *1975 in Genf (CH), lebt und arbeitet in Basel

Zentrales Merkmal der Arbeiten Saskia Edens’ – ob Performance, Videoinstallation oder Skulpturen – ist die Auseinandersetzung mit Gegensätzen, deren Umkehrung, scheinbaren Unmöglichkeiten und Ambivalenzen. Dabei interessieren Edens Abläufe wie Zeit, Vergänglichkeit und Veränderung, deren prozesshaften Charakter sie in eindringlicher und oft überraschend ungewohnter Weise veranschaulicht. In ihrer Kunst werden Zeitverlauf, Geräusche und Wärme visuell erfahrbar. „Ich interessiere mich für das Flüchtige und Unfassbare, und für all das, was sich unserer Kontrolle und unserem Blick entzieht. So auch für das Skelett unseres eigenen Körpers und die kontinuierlichen metabolischen Prozesse der Regeneration und Zerstörung, die ohne die Intervention des Bewusstseins ablaufen.“

Das Video Make-up (2008) zeigt eine Performance der Künstlerin vor der Kamera, als Plansequenz konzipiert, in der sie die Anatomie von Gesicht und Körper erkundet, die Knochen ertastet und das Fleisch dazwischen mit schwarzem Make-up bemalt. Mehr und mehr verwandelt sich die Künstlerin in ein Skelett. Ihre fliessenden Bewegungen beim Auftragen des Make-up gehen mit Vollzug der Metamorphose über in einen Tanz, der Reminiszenzen an den mexikanischen Toten-Kult hervorruft. Ein Totentanz vor dem Hintergrund einer eindrücklichen, an Knochengeklapper und maschinelles Klopfen und Stampfen erinnernden Geräuschkulisse. Transformation und Tanz vermischen die verschiedenen anatomischen und symbolischen Aspekte des Skeletts. Das Skelett als Symbol des Todes und gleichzeitig als reales Ergebnis desselben. Andererseits ist das Skelett zentraler anatomischer Bestandteil und Schlüssel zur Produktion von Blutzellen, sprich Leben. Make-up (2008) gelingt es, diese Gegensätze zusammenzuführen, zu vereinen, und die damit verbundenen Ambivalenzen sicht- und spürbar zu machen: Schaurig, schaurig schön, leichtfüssig und irgendwie voller Lebensfreude tanzt das Skelett grinsend vor uns.

Simon Senn  – *1986 in La Chaux-de-Fonds (CH), lebt und arbeitet in Genf

In seinen Arbeiten thematisiert Simon Senn menschliche Verhaltensweisen und Interaktionsmuster. Seine Analysen von Gruppendynamik und individuellem Verhalten finden meist in einem von ihm vorgegebenen Rahmen statt, der Ansätze von realen gesellschaftlichen Settings zuspitzt und damit und durch die mediale Aufzeichnung der Aktionen die Verhaltensweisen akzentuiert, ja radikalisiert. Mit der ästhetischen Dimension seiner Arbeiten berührt Simon Senn dadurch unweigerlich das Spannungsfeld des Verhältnisses von Ethik und Ästhetik.

Das Video L’hôtel des sapins (2008) zeigt sechs junge Menschen in einem verlassenen Gebäude, nackt bis auf den vermummten Kopf, nummeriert und jeder mit einer eigenen Videokamera ausgerüstet. Die einzige Anweisung des Künstlers an jeden Einzelnen der drei weiblichen und drei männlichen Akteure war, dass sie versuchen sollten, die jeweils anderen zu filmen, ohne dabei selbst gefilmt zu werden. Die Maskierung und das verlassene, kalte und teilweise schneebedeckte Terrain wecken Assoziationen einer Gefahrenzone, von Gewalt und Terrorismus. Die Agierenden haben mit der Maskierung grosse Teile ihrer Identität verhüllt, Distanz geschaffen, und dennoch sind sie nackt und wirken verletzlich. Neben den sechs Kameras der Protagonisten filmten vier weitere, fest installierte Aufnahmegeräte das Geschehen. Die daraus resultierenden zehn Videos, zeitlich präzise synchronisiert, hat Senn in einem interaktiven Video gebündelt, in dem der Zuschauer mit einer Fernbedienung die verschiedenen Blickwinkel einnehmen kann. Durch das interaktive Element des Videos wird gewissermassen eine zeitunabhängige teilnehmende Beobachtung der komplexen Interaktionsabläufe, der sozialen Aushandlung von Rollen und gegenseitigen Wahrnehmungen möglich. Gleichzeitig kontrastiert das per se kindlich anmutende Versteckspiel mit der kalten, beklemmenden Realität der Umgebung, und verweist auf die Gesamtkomposition des Kunstwerkes als Metapher für das, was sich auf dem Web abspielt, für eine virtuelle Realität mit all ihren Konsequenzen für die „nackte“, wahrhaftige Realität.

Die Rezeption des Videos ist ein Wechselbad der Gefühle: Wähnt man sich im einen Moment als Forscher, beschleicht einen im nächsten Augenblick das Gefühl, dem Voyeurismus erlegen zu sein, worauf alsdann die Flucht in die Virtualität der scheinbaren Video-Game-Welt einlädt.

Alexandra Gmür, Dezember 2009


Galerie Nicola von Senger has chosen three young promising talents from the Swiss contemporary art scene whose works are shown at the gallery from January 9th to February 27th 2010. The exhibition strives for a cross-sectional view on contemporary art, presenting a video installation by Simon Senn, the performance-based work of Saskia Edens and the artworks of Pascale Birchler attributed to the classic disciplines of drawing, painting and sculpture. Critically and effortlessly, the young artists succeed in drawing attention to questions concerning individual and societal aspects of life and of living together and to fathom the ambivalences of human existence.

Pascale Birchler  –  *1982 in Zug (CH), lives and works in Zurich

Pascale Birchler’s works include drawing, painting and sculpture. Her artworks oscillate between a dream world and reality, poetic, romantic and often with kafkaesque connotations. Starting from the beautifully detailed and small format visualizations of ideas in her sketchbook, Pascale Birchler creates life-size sculptures. Effortlessly, she succeeds in converting the small drawings into totally new dimensions: The characteristic elements of her drawings – the detail of her work, the fragility of appearance and the ambivalence of emotions they are able to provoke – are adhered and at the same time enforced by the dimensions of the sculptures.

The central work of the exhibition Why we do not understand the trembling whisper of my horse lost in reverie (2009) is captivating with the same characteristics. The qualities of being heroic, proud and extroverted that are attributed to a horse are undermined and questioned by the bowed head. The posture of the horse, the persistency in the moment, the pausing and listening to itself symbolize a journey to the very core of one’s identity. A journey that is closely and inevitably connected to fears, uncertainties and sensations of vulnerability. The blankets the horse is covered with and the harnesses lashing it correspond to the need for warmth, keeping oneself grounded, and protection. A safeguard that can be as much essential as hindering. Hindering because it might impede precious insights, and necessary because it has grounding qualities, anchoring us in reality, incorporating socialization. Maybe the key to mental strength and independence, to the genuinely heroic of the horse, lies in self-exposure, in regularly overcoming and reflecting the mantle that seemingly protects from vulnerability and coldness.

With Why we do not understand the trembling whisper of my horse lost in reverie (2009) and the two other works Watchman (2009) and You shouldn’t have touched the dark (2009) the exhibition focuses on the sculptural works of Pascale Birchler.

Saskia Edens  – *1975 in Geneva (CH), lives and works in Basel

A main characteristic of the works of Saskia Edens whether performance, video installations or sculptures is the examination of antagonisms, their inversion, sheer impossibilities and ambivalences. Edens is interested in themes such as time, transience and transformation and visualizes these processes in a striking and often surprising manner. Her artworks make sounds, time and heat visually perceptible. “I am interested in the elusive and intangible, in all that deprives us of our sight and that defies control. So too in the skeleton of our own body and the continuous metabolic processes of regeneration and destruction, taking place without any conscious intervention.”

The videoMake-up(2008) shows a performance of the artist in front of the camera, recorded as a steadicam shot, in which she touches the anatomy of body and face, searches it for the bones and paints the fleshy parts between them with black make-up. Gradually the artist turns into a skeleton. The movements while applying the make-up are extraordinarily fluid and metamorphose into a dance, which brings up reminiscences of the Mexican death-cult. It’s a death dance in front of an impressive soundscape, which recalls the rattle of old skeletons and a mechanical knocking and pounding. Transformation and dance mix the various anatomic and symbolic aspects of the skeleton. The skeleton as a symbol of death and at the same time as its real outcome. On the other hand, the skeleton is a pivotal anatomic part and is the key for the production of blood cells, that is life.Make-up(2008) succeeds in bringing together these various elements, unites them, and makes the ambivalences palpable and visible: Scary, spine-chillingly beautiful, fleet-footed and somehow full of lust for life, the skeleton is dancing in front of us, grinning.

Simon Senn  – *1986 in La Chaux-de-Fonds (CH), lives and works in Geneva

In his works, Simon Senn deals with human behavior and interaction patterns. His explorations of group dynamics and individual behavior take place in a context defined by the artist. The specific context usually seeks to emphasize aspects of societal settings in such a way that, in combination with the deployed means of recording, behaviors are being accentuated, if not radicalized. Thus, through the aesthetic dimension of his works, Simon Senn inevitably touches the controversial area of tension between ethic and aesthetic.

The video L’hôtel des sapins (2008) shows six young people in an abandoned building, naked except for their covered face, numbered and each of them equipped with a video camera. The sole instruction given by the artist to each of them was that they must try to film the other persons without being seen by the other moving cameras. The fact that all the protagonists are wearing a mask and the abandoned, cold and partly snow-covered terrain bring up associations of a danger zone, of violence and terrorism. By their faces being covered the people involved have hidden a great part of their identity, created distance, but simultaneously, they are naked and vulnerable. Besides the six cameras of the protagonists, four other non-moving cameras were filming the scene. The ten resulting videos were precisely synchronized and edited into one interactive video, in which the spectator can navigate between the different viewpoints with a remote control. To some extent, the interactive viewing allows for a time-independent participant observation of complex interactions, role negotiation and mutual perception. At the same time, the playful hide-and-seek contrasts with the cold, oppressive reality of the environment and refers to the overall composition of the artwork as a metaphor for what’s happening on the web, for a virtual reality with all its consequences for the “naked” and true reality. Watching the video evokes mixed emotions: The fascinations of looking at it from the research perspective of a social scientist to succumbing to voyeurism, while constantly being tempted to escape into a virtual video-game-world.

Alexandra Gmür, December 2009

Translation: Alexandra Gmür / Rob Monson

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