Springer
Dezember 96 – Februar 1997
“Lasst uns Waschpulver in den Brunnen schütten, dann scheumt er morgen wie verrückt”, sagt Maurizio Cattelan zu seinem Galeristen Nicola von Senger, als sie des Nachts durch Zürich zogen. Sie taten es nicht. Anderes hat Maurizio Cattelan getan. Er liess zum Beispiel das gesamte Büroinventar der Amsterdamer Bloom Gallery mitsamt einer Ausstellung von Paul de Reus abtransportieren. Die perplexen Galeristinnen alarmierten die Polizei. Das Diebesgut tauchte schnell wieder auf: Es war Ausgestellt in der Stichting de Appel. Titel: “Another fucking ready-made”. In der New Yorker Galerie Daniel Newburg stellte Cattelan 1994 einen Esel aus. Der traurige Ausdruck des Tiers rührte ihn, dieses allerdings gab seinem Unmut über das neue Heim lauthals Ausdruck, was wiederum den Ex-Tennisstar und Neo-Galeristen John McEnroe, Nachbar von Newburg, dermassen enervierte, dass er sich beim Vermieter beschwerte. Newburg flog aus dem Loft und betätigt sich nun als Farmer. Der Esel gehört zu seinem Tierbestand. Mit den neopolitanischen Galeristen Raucci/Santamaria verhandelte Cattelan stundenlang über verschiedene Projekte. Kostenkalkulationen wurden aufgestellt, die schliesslich einige DIN-A4-Blätter füllten. Da stand Maurizio Cattelan auf, wies auf die beschriebenen Blätter und sagte: “Das ist das Kunstwerk.”
Dass es Gesetze gibt, provoziert den 1960 in Padua geborenen Maurizio Cattelan, sie zu übertreten. Er ist ein Gesinnungstäter, ein Risiko für jeden Galeristen. Lausbub und radikaler Anarchist in einem, betreibt er seine Arbeit, die immer auch als Kommentar zum Kunstbetrieb zu verstehen ist, mit der Konsequenz eines süchtigen und mit einer Ernsthaftigkeit, die ihresgleichen sucht.
In der ArsFutura Galerie hat nun Cattelan unter dem Titel “Angels` Noise” den Kultraum der Sonnentempler-Sekte nachgebaut, in dem die meisten der 23 Menschen gefunden wurden, die am 4.Oktober 1994 zu Tode gekommen waren. Das Massaker von Cheiry im Kanton Freiburg stand unter dem Motto “Transit zum Sirius” und hing einerseits mit Endzeitvisionen, andererseits mit finanziellen Abhängigkeitsverhältnissen innerhalb der Sekte zusammen. Wie es sich genau abgespielt hat, ist immer noch ungeklärt. In der selben Nacht starben in Granges-sur-Salvan im Kanton Wallis 23, und im kanadischen Morin Heights zwei weitere Menschen.
An der Vernissage zu Cattelans Ausstellung tanzte auf einem weissen Sockel ein Mädchen zu Technomusik. Tags darauf ist der Raum leer, der rote Stoff riecht nach Rauch, der (rote) Boden ist dreckig, und man fühlt sich wie in einer Provinzdisco “am Tag danach”. Der rekonstruierte Tatort öffnet sich mit einem grossen Schaufenster gegen eine von zahlreichen Passanten frequentierte Strasse hin. Der Raum wirkt einladend, warm. Zwei Jahre nach dem Drama, das weltweit die Medien aufrührte, rückt Cattelan diesen Ort des Schreckens ins (physische) Bewusstsein der BesucherInnen. Was man zuvor nur aus der Zeitung oder dem Fernsehen kannte, ist nun reak betretbar – und doch eine Fälschung. Das Set-up ist theatralisch – die Realität allerdings gebärdete sich auch sehr theatralisch. “Angels` Noise” ist ein eigenartiger Cocktail mit ungeheuerlichen, lächerlichen, morbide faszinierenden Ingredienzen; und ist vielleicht auch ein sarkastisches – und zugleich humoristisches – Statement zur Impotenz der Kunst.
Das Leben jedenfalls ist noch weitaus verrückter: Eben erst ist publik geworden, dass sich der Gemeindepräsident von Cheiry dagegen sträubt, das brachliegende, teilweise abgebrannte Bauernhaus, in dem das Drama stattgefunden hat, abzureissen. 500.000 Franken müssten dafür aufgewendet werden, das ist dem Gemeindepräsidenten zuviel. Stattdessen schlägt er vor, das Haus zu sanieren und es zu vermieten. Schliesslich sei die Lage der Liegenschaft durchaus favorabel.
Simon Maurer