Die Galerie Nicola von Senger freut sich, parallel zur Ausstellung im Kunstmuseum St. Gallen neue Werke von Erwin Wurm präsentieren zu können. Der ausgebildete Bildhauer Wurm, geboren 1954, blickt bereits auf ein eindrückliches und sehr erfolgreiches, künstlerisches Werk zurück und ist heute international einer der wichtigsten Gegenwartskünstler. Durch seine kontinuierlichen Experimente mit Objekten, Photographie, Performance, Zeichnungen und Video hat er das zeitgenössische Verständnis von Skulptur erweitert und geprägt, ohne dabei seinen Ursprung zu vergessen: nach wie vor arbeitet er mit seinen Untersuchung von Form, Zeit, Volumen und Virtualität mit den Grundzügen skulpturalen Schaffens.
Durch den skeptischen Umgang mit Tradition und neuen Interpretationen eröffnet Wurm vielfältige Deutungen über das Wesen der Dinge und ihre äussere Form. Vorherrschend ist dabei das Interesse am Alltäglichen, alles kann zur Kunst werden, um sein zentrales Thema, die condition humaine, zu erforschen und zu kommentieren. Seine Werke sind von einem alternativen Verständnis der Realität und ihrer Möglichkeiten geprägt und wirken zwar oft surrealistisch, sind aber immer im Hier & Jetzt verhaftet. Wenn also Kartoffeln plötzlich Beine bekommen, Menschen sich aufblähen oder Tiere eigenartige Dinge verschlucken, wandelt sich die Skulptur gerade wegen der Banalität ihrer Teile zu einer subtilen Bedrohung für unsere Normalität. Seine Werke sind intuitiv verständlich, da sie immer zugleich irritierend und anziehend wirken. In SCHIEFES_AUTO führt der schräge Blick Wurms auf unsere Gesellschaft dazu, dass er die gleichförmige Produktionsmaschinerie durchbricht und sich ein windschiefes Auto anfertigen lässt – eine unbewegte Skulptur, die dennoch Unruhe und Bewegung ausstrahlt. Wenn Wurm bei BILD_MIT_SHIRT eine Leinwand einkleidet, löst er mit dieser Vermenschlichung eines Gegenstandes sogleich weitreichende Fragen aus: Passt das Kleidungsstück? Was ist darunter verborgen? (…)
Wurm versteht es vortrefflich, Vorgänge zu verdichten und sie ‚objektiv’ reduziert wiederzugeben. So auch in seiner Häuserserie: Die öffentliche Funktion des Hauses – dem Menschen Sicherheit zu gewähren – wird in den deformierten Gebäuden Wurms ad absurdum geführt: an die Stelle der Zersiedelung der Landschaft durch Einfamilienhäuser treten das Aufblähen und Zerfliessen, Gebäude biegen und winden sich, bis schliesslich beim KARTOFFEL_HAUS selbst ein kartoffelförmiger Klotz mit einem Strickdeckchen als Heim zu erkennen ist.
Der Künstler stellt die Welt zwar nicht auf den Kopf, doch er kippt sie. In ENERGIE_STATION macht die Bildkomposition Glauben, die Station ruhe auf ihrem Dach und der Boden sei an ihrem Fundament nur angebracht. Mit leiser Ironie hinterfragt Erwin Wurm, welche allgemein akzeptierten Vorstellungen unsere Welt zusammen halten, um ihnen dann seine eigene Sichtweise aufzuerlegen und so den Betrachter zum Staunen, Lachen oder Nachdenken herauszufordern. Und letztlich leistet seine Kunst augenzwinkernd Hilfestellung dabei, mit dem Leben zurecht zu kommen.
Rémi Jaccard, Februar 2008
Erwin Wurm
Simultaneously with the exhibition at the Kunstmuseum St. Gallen, Galerie Nicola von Senger proudly presents new works by Erwin Wurm. Born in 1954, the learned sculptor already can look back at an artistic oeuvre that is as impressive as it has been successful so today he is one of the most important artists internationally. Through his continuous experiments with objects, photos, performances, drawings and videos Wurm has extended and moulded the contemporary understanding of sculpture without forgetting his origin: his researches about form, time, volume and virtuality are still working with the traditional basics of sculptural creation.
Wurm’s sceptical dealing with traditions and new interpretations offers varied analyses of the essence of things and their appearance. His prevailing interest is the ordinary – everything can be transferred into art – which is used for the research and comment of his main subject, the condition humaine. His work is deeply affected by an alternate understanding of reality and therefore often seems surrealistic even though it is well founded on the here and now. So if potatoes suddenly grow legs, people blow up or animals swallow strange things, the banality of the used parts turns his sculpture into a subtle threat of our normality. His creations are easily and intuitively appreciated as they all irritate and attract at the same time.
With S_A Wurm’s tilted view on our society brings him to disrupt the steady chain of production for the fabrication of an inclined car – a motionless sculpture expressing unrest and (velocity). In Mental Brown Wurm instantly triggers extensive questions when he humanises artefacts by clothing canvases in t-shirts: Does it fit? What’s hidden beneath?
Wurm knows how to densify procedures and reflect them ‘objectively’ reduced as he does in his house series. The usual function of a house – to make people feel safe – is led ad absurdum: blow-up and melting replace sprawled landscapes, constructions bend and wreathe until K_H, a potato-shaped chunk covered with a woollen blanket, becomes a homely place.
The artist doesn’t turn the world upside down but he’s inclining it. E_S’s composition makes one believe the station would rest on its roof and the ground were only attached to the fundament. With slight irony Erwin Wurm scrutinizes the commonly accepted conceptions framing our world only to impose his personal perception and through those to provoke the visitor to marvel, to laugh and to think. And finally, always with a twinkle in his eye, his opus helps to cope with life.
Rémi Jaccard, Februar 2008