Carsten Höller, “Loverfinches”

CARSTEN HÖLLER

Liebesfinken – Eine Ausstellung lebender Finken (Dompfaffen), die Liebeslieder pfeiffen – eine zeitgenössische Version der schönsten Liebesgeschichte der Welt.Ein Grossteil der Galerie wird in eine Volière umgebaut, um den Vögeln möglichst naturgerechte Verhältnisse zu bieten. Die Besucher werden, ähnlich wie bei einer Aufführung eines Orchesters, auf Stühlen Platz nehmen können, um den Liedern der Vögel zu lauschen.
Zur Vorgeschichte:
18.Jh., Coburg / Süddeutschland. Baron Johann Ferdinand Adam von Pernau ,Herr über Gut Rosenau, ist in eine junge Dane aus dem nahegelegenen Städtchen verliebt. Die Dame weist jedoch all seine Versuche, ihr näher zu kommen, zurück.
Um das Herz der Angebetenen dennoch zu gewinnen, heisst der Baron alle Dompfaffen auf seinem Gut aus den Nestern zu holen und in den Keller seines Schlosses zu bringen. Dort lehrt er sie jenes Liebeslied, welches er unter dem Fenster der Dame zu spielen pflegte. Er lässt die nun das Lied pfeifenden Sprösslinge nach ihrer Lehrzeit frei und läd die Dame zum Spaziergang auf sein Gut. Die Angebetete merkt bald, dass Hunderte von Finken jenes wunderbare Liebeslied singen, worauf sie sich unsterblich in den Baron verliebt…
Mehr als 250 Jahre später haben Deutsche Ornithologen die Gesänge der Dompfaffen um Gut Rosenau aufgezeichnet und mittels Oszillationsanalyse auch heute noch Fragmente des von Pernau´schen Liebesliedes festgestellt. Offenbar haben sich die vom Baron freigelassenen Finken mit wilden Exemplaren ihrer Art vermählt und ihren Nachkommen wiederum das Liebeslied beigebracht. Diese brachten ihren Kindern das Lied bei, usw…

Auf dem Boden der Tatsachen
Michelle Nicol / Parkett 43 1995

Carsten Höller amüsiert es in höchstem Masse, die typisch humanen Lüste und Ausschweifun-gen des täglichen Menschenlebens als Signale eines soziobiologischen, physiologisch gesteuerten Mechanismus zu lesen – wo das menschliche Enigma von hinten herum, kühl und nüchtern angegangen wird und wo sich die Strukturen zu einer schlüssigen Beweissführung zusammenfügen, um sich dann in einer kleinen simplen Logik aufzulösen. Carsten Höller liebt diese kleine Logik.
Carsten Höller habilitierte 1994 in Kiel als Phytopathologe auf dem Gebiet der Geruchskommunikation zwischen Insekten. Als ausgewiesener Naturwissenschaftler brach er bereits 1987 den szientifischen Mikrokosmos auf, um seine Arbeit in den Kontext der Kunst zu stellen und damit zu diversifizieren.Ausgangspunkt seiner jüngsten Installation ist die “schönste Liebesgeschichte der Welt”, und die geht so: Im 18.Jahrhundert lässt der süddeutsche Schlossherr von Rosenau sämtliche Jung-Dompfaffen seines Gutes in den Keller bringen.Hier lehrt er die Finken in vorrübergehender Gefangenschaft eine Liebesmelodie pfeifen, welche seine ihn abweisende Angebetete als die ihrige erkennen soll. Auf einem Spaziergang erkennt die junge Schöne gerührt das Bemühen des Barons und fällt ob diesem Zartgefühl unweigerlich intiefe Liebe. Noch heute, ein Vierteljahrhundert später, zwitschern die im Garten des Gutes von Rosenau lebenden Dompfaffen Fragmente dieser Liebesmelodie.
Carsten Höllers Installation LOVERFINCHES (Liebesfinken) in der Galerie Ars Futura in Zürich (1994) funktionierte den Ausstellungsraum zum vogelfreundlichen Volierenghetto mit Würzelchen und Beeren um. Die zehn “ausgestellten” Dmpfaffen wussten je ein Liedlein zu pfeifen: die italienische Partisanenschnulze “Ciao Bella Ciao”, “Indian Summer” von Joe Dassin oder die Titelmelodie von Gremlins. Vor dem Volierengitter luden fünf antike Stühle zum Studium dieser ornithologischen Sensation ein. Um besuchern und Vögeln gleichermassen auf die Sprünge zu helfen, gab ein Minirecorder sporadisch die drei Melodien von sich, und jeder Besucher spürte etwas von der Rührung der Geliebten. Das “Dr.No”-Moment dieser subtielen subtilen Manipulation und Autoritätseinschrei-bung offenbart sich erst auf den zweiten Blick, wenn überhaupt. Die (höchstwarscheinlich) bewusstseins-losen, nicht um ihre Existenz wissenden Finken glauben sich, auf die äusseren und inneren Reize reagierend, im überfliessenden Paradies. Sie pfeifen Lieder, die sie zwar als die ihrigen identifizieren, die ihnen aber – als willenlosen Geschöpfen – im eigentlichen Sinne aufdoktriniert wurden. Vielleicht haben sie gar keine Lust ein Partisanenlied zu pfeifen oder “Indian Summer”, nur weil Höller glaubt sich beim hören dieses Liedes zum ersten mal verliebt zu haben. Eher anekdotischer Natur ist das Argument, dass die Männchen zurück in der freien Natur mit ihrem untypischen Gimpelgesang keine Weibchen werden anlocken können und also ungepaart von dieser Welt gehen werden. Schliesslich ist aber auch die “schönste Liebesgeschichte der Welt” im Ansatz nichts anderes als die manipulative Ausnutzung eines biologischen Mechanismus, des Mechanismus der Paarung.

In seinen deskriptiven Analogien setzt Höller nicht nur Finken an die Stelle von Menschen, auch Blumen, Kaninchen und Schimpansen müssen herhalten. Und er kann sehr, sehr böse sein. In der Installation SUMMERGARDEN (1994) wuchs eine Kamikaze- Blume ihrem eigenen Tod durch Strangulation entgegen. Ihre Schwestern ruhten sich unter Sonnenschirmen aus, die ihnen das lebensnotwendige Licht stahlen, und ein ganz verwegenes Exemplar floristischer Selbstdestruktion verharrte abschussbereit an eine Rakete geschnallt auf der Startrampe.
Eine andersgerichtete Strategie verfolgen die Child-Buster-Arbeiten, die Titel tragen wie KILLING CHILDREN 1-3 (1993/94) oder PEST CONTROL (1993). Das Video JENNY (1993) leitet in neun erfrischenden Methoden zum kreativen Kinderfang und Kindermord an. Carsten Höller mimt in Anzug und Krawatte den grossen Unbekannten gleich selbst und gräbt Quallenfallen am Strand, die er mit einem lustigen Windrad dekoriert, oder präpariert Kinderschnuller mit Fliegenpilz. Das Kinderzimmer wird unter seiner Ägide zum trickreichen Raum mit perfiden Konstellationen, und mit dem Pest-Control Landrover der auch an der letzten “Aperto” in Venedig zu sehen war, geht es entgültig daran, die kleinen Racker einzufangen. Die einfache Frage, die Höller stellt, ist, warum Menschen, ihren Genen und den damit zusammenhängenden Mechanismen folgend, dem unbedingten Wunsch nach Reproduktion so bereitwillig verfallen. Die solchermassen produzierten kleinen Monster fressen fressen nicht nur die parentalen Ressourcen auf, sondern angesichts einer überbevölkerten Welt auch die ökonomischen Ressourcen aller. Frühere Arbeiten wie der Verkauf von Warnwesten (AUF WIEDERSEHEN, 1988) oder die Verteilung von “Future”-Schokolade durch Hostessen (1990) verfolgen eine ähnliche Strategie. Mit ihrem affimativen Werbe-Charakter waren sie aber längst nicht so effizient.
Eine mehr aufklärerische Strategie verfolgt Carsten Höller in Arbeiten wie DO YOU (1994): Der Ausstellungsraum präsentierte sich als Labor mit Aneitung zum Selbstversuch, wobei Besucherin und Besucher stets damit rechnen mussten, vom Experimentator unverhofft zum Versuchsobjekt entautorisiert zu werden. Nach seinem Ausritt auf Pferdefuss-Stelzen mit dazugehörigem Rock – die Füsse wurden der Irritation zuliebe verdeckt – stand es frei im Wassertank Zeit und Raum entgleiten zu lassen oder sich auf Stahl Stenslies “Sensocouch” mittels interaktivem Computerprogramm in die vierte Dimension stimulieren zu lassen. Eher passiven Naturen wurde ein Sniff euphorisierender körpereigener Duftstoffe angeboten. So oder so – DO YOU war als Ort des geistigen Work-Out konstruiert, wo Wahrnehmungsstrukturen entblösst und biotechnische Möglichkeiten für ein Sich-Besser-Fühlen aufgezeigt wurden. In JENNY HAPPY (1993) schaukelte ein teilnamsloses junges Mädchen mit roten Augen (Linsen!) vor einem stöhnenden Pornofilm hin und her, während im Schaufenster die Karnickel sich zu vermehren suchten. Im PEALOVE ROOM (1994) hingegen wurde der Rezipient hingegen wieder selbst zum Akteur, schnupperte am PEA (Phenylethylamin) und warf sich dann in die von der Decke hängenden Sexgurte – mit oder ohne Partner. In diesen Laborartigen Räumen verschiebt sich das Interesse Carsten Höllers von der Reproduktion zur Sexualität, von der Wirkung zur Ursache.

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