Carsten Höller amüsiert es in höchstem Masse, die typisch humanen Lüste und Ausschweifun-gen des täglichen Menschenlebens als Signale eines soziobiologischen, physiologisch gesteuerten Mechanismus zu lesen – wo das menschliche Enigma von hinten herum, kühl und nüchtern angegangen wird und wo sich die Strukturen zu einer schlüssigen Beweissführung zusammenfügen, um sich dann in einer kleinen simplen Logik aufzulösen. Carsten Höller liebt diese kleine Logik.
Carsten Höller habilitierte 1994 in Kiel als Phytopathologe auf dem Gebiet der Geruchskommunikation zwischen Insekten. Als ausgewiesener Naturwissenschaftler brach er bereits 1987 den szientifischen Mikrokosmos auf, um seine Arbeit in den Kontext der Kunst zu stellen und damit zu diversifizieren.Ausgangspunkt seiner jüngsten Installation ist die “schönste Liebesgeschichte der Welt”, und die geht so: Im 18.Jahrhundert lässt der süddeutsche Schlossherr von Rosenau sämtliche Jung-Dompfaffen seines Gutes in den Keller bringen.Hier lehrt er die Finken in vorrübergehender Gefangenschaft eine Liebesmelodie pfeifen, welche seine ihn abweisende Angebetete als die ihrige erkennen soll. Auf einem Spaziergang erkennt die junge Schöne gerührt das Bemühen des Barons und fällt ob diesem Zartgefühl unweigerlich intiefe Liebe. Noch heute, ein Vierteljahrhundert später, zwitschern die im Garten des Gutes von Rosenau lebenden Dompfaffen Fragmente dieser Liebesmelodie.
Carsten Höllers Installation LOVERFINCHES (Liebesfinken) in der Galerie Ars Futura in Zürich (1994) funktionierte den Ausstellungsraum zum vogelfreundlichen Volierenghetto mit Würzelchen und Beeren um. Die zehn “ausgestellten” Dmpfaffen wussten je ein Liedlein zu pfeifen: die italienische Partisanenschnulze “Ciao Bella Ciao”, “Indian Summer” von Joe Dassin oder die Titelmelodie von Gremlins. Vor dem Volierengitter luden fünf antike Stühle zum Studium dieser ornithologischen Sensation ein. Um besuchern und Vögeln gleichermassen auf die Sprünge zu helfen, gab ein Minirecorder sporadisch die drei Melodien von sich, und jeder Besucher spürte etwas von der Rührung der Geliebten. Das “Dr.No”-Moment dieser subtielen subtilen Manipulation und Autoritätseinschrei-bung offenbart sich erst auf den zweiten Blick, wenn überhaupt. Die (höchstwarscheinlich) bewusstseins-losen, nicht um ihre Existenz wissenden Finken glauben sich, auf die äusseren und inneren Reize reagierend, im überfliessenden Paradies. Sie pfeifen Lieder, die sie zwar als die ihrigen identifizieren, die ihnen aber – als willenlosen Geschöpfen – im eigentlichen Sinne aufdoktriniert wurden. Vielleicht haben sie gar keine Lust ein Partisanenlied zu pfeifen oder “Indian Summer”, nur weil Höller glaubt sich beim hören dieses Liedes zum ersten mal verliebt zu haben. Eher anekdotischer Natur ist das Argument, dass die Männchen zurück in der freien Natur mit ihrem untypischen Gimpelgesang keine Weibchen werden anlocken können und also ungepaart von dieser Welt gehen werden. Schliesslich ist aber auch die “schönste Liebesgeschichte der Welt” im Ansatz nichts anderes als die manipulative Ausnutzung eines biologischen Mechanismus, des Mechanismus der Paarung.