Gegenwart ist überall Annelies Strba in der Galerie Ars Futura Neue Züricher Zeitung, 28.8.1997
Seitdem Bernhard Bürgi Annelie Strba (1947 in Zug geboren) 1990 zum ersten mal in der Kunsthalle Zürich einer grösseren Öffentlichkeit vorgestellt hat, haben sich ihre stillen, unspektakulären Arbeiten ihren Platz im Diskurs um die Fotografie erobert. Trotz dieser Resonanz hat Strba ihre introvertierte Haltung bewahrt und dadurch auch ihren Bildern ihre eigene Hermetik gesichert. Die Galerie Ars Futura in Zürich zeigt gegenwärtig eine Ausstellung mit Arbeiten, in welchen die zentralen Pole ihrer bildnerischen Recherschen umkreist werden: der innere Bezirk ihres vertrauten Zuhauses und der äussere Bezirk als unheimliche Unvertrautheit an fremden Orten.Man glaubt die Bilder des intimen häuslichen Lebens inzwischen zu kennen und begegnet ihnen doch immer wieder neu. Oft führen die Photografien den Blick in die Küche oder ins Badezimmer, wo jede Flasche und jeder Teller ihre Wichtigkeit innerhalb der ganzen Komposition behaupten. Jeder Gegenstand trägt die Spuren der hier lebenden Menschen, wie umgekehrt die Menschen auf die Dinge bezogen sind und deren stilles Dasein teilen. Gleichsam als wiederkehrende Motive erscheinen Strbas Töchter: Linda und Sonja mit den schönen verträumten Madonnengesichtern. So direkt die Konfrontation auch ist, so entblösst sie manchmal dastehen, nie stellt sich Verbindlichkeit ein. Allews anbiedernde und erst recht jede erotische Anspielung ist aus diesen Bildern eliminiert. Darin unterscheiden sie sich von den Gemälden des von Strba seit langem verehrten Malers Balthus, der die aufkeimende Erotik seiner Lolitafiguren in kühler Schwüle einfängt. Über dem Bild von Strbas Töchtern hingegen liegt eine natürliche Gelassenheit, fast möchte man sagen Nüchternheit, als biete ihnen das von der Mutter gemachte ild auch in der Nacktheit einen Schutzraum. Wie Balthus` Bilder sind aber auch Strbas Werke aufgeladen von Atmosphäre, die die Motive wie in einem unsichtbaren Gewebe zu verbinden scheint. Nicht zu Erinnerungszwecken sind diese Photographien gemacht, sondern um Gegenwart zu bannen. Sie scheinen immer im Jetzt beheimatet. Deshalb ist es denn auch plausibel, wenn Nicola von Senger in seiner Galerie frühe Arbeiten neben neuen zeigt. Da alle Bilder gleichen Anteil an der Gegenwart haben, wird jegliche chronologische Gliederung hinfällig. Den Gegenpol zu diesen fast genreartig aufgefassten, farbig belebten Interieurszenen bilden Strbas Schwarzweiss-Aufnahmen von stereotypen Häuserblocks in der ehemaligen DDR oder in Japan. Auch die Stätten kollektiven Schreckens wie Hiroschima oder Auschwitz haben Eingang in ihre Bildwelt gefunden. Abweisender und anonymer kann man sich Leben und Wohnen kaum denken, als es der in verwaschenen Grautönen gezeigte Häuserblock von Aschewiese vermuten macht. Erstaunlicherweise lassen sich aber auch diese Arbeiten trefflich neben den anderen aufstellen. Erst in ihrer gegenseitigen Verklammerung wird bewusst, wie sehr sie sich brauchen und in ihrem Wert steigern: die unwirtlichen Orte werden durch die Orte menschlichen Friedens erträglicher, und umgekehrt verlieren die häuslichen Szenen vor dem Hintergrund existentieller Verlorenheit und Angst ihre selbstgenügsame Schönheit und werden zum Hort der Vertrautheit und Kommunikation.